Nach Kämpfen: Hunderte Tote und Chaos in syrischer Provinz

Nahostkonflikt - Syrien
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Konflikte

Suwaida/Damaskus (dpa) - Nach den tagelangen Kämpfen in der syrischen Provinz Suwaida treten immer deutlicher die Folgen der Auseinandersetzungen zutage. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte kamen mehr als 500 Menschen ums Leben, darunter viele Zivilisten. Dutzende sollen exekutiert worden sein. Die gleichnamige Provinzhauptstadt ist zudem nach Angaben von Augenzeugen von wichtigen Versorgungsleistungen abgeschnitten. Einwohner beschreiben eine Stadt unter Schock.

Die Hochburg der drusischen Minderheit war zum Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen zwischen Drusenmilizen einerseits und sunnitischen Beduinen und Regierungstruppen andererseits geworden. Zuletzt hatte Israel in den Konflikt eingegriffen und unter anderem Regierungsgebäude in Damaskus bombardiert.

Syriens Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa verurteilte die israelischen Luftangriffe scharf. Israel versuche, sein Land in einen Krieg hineinzuziehen, sagte al-Scharaa in einer am Morgen übertragenen Ansprache an seine Landsleute. Kritik an den Regierungstruppen aus Damaskus kam unterdessen von den Aktivisten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte und auch von Deutschlands Außenminister Johann Wadephul.

Aktivisten: 83 drusische Zivilisten exekutiert

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte machte die syrischen Regierungstruppen für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, darunter die Exekution von 83 drusischen Zivilisten. Ihre Leichen seien an Straßenrändern hinterlassen worden, teils gefesselt oder verbrannt. «Überall waren Leichen», sagte ein freiwilliger Helfer des Zivilschutzes in der Stadt.

Sunnitische Beduinen sollen aus Furcht vor Vergeltungsaktionen von Drusen mehrere Stadtviertel verlassen haben. «Beide Seiten leben in Angst und Unsicherheit in Suwaida», sagte der Leiter der in Großbritannien ansässigen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman.

«Wie ein wahr gewordener Alptraum»

Die humanitäre Situation in Suwaida war nach Angaben der Beobachtungsstelle prekär. Die Aktivisten riefen die internationale Gemeinschaft auf, dringend Hilfslieferungen zu leisten. «Es war wie ein wahr gewordener Alptraum», sagte eine Drusin aus der Stadt im Telefongespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Häuser seien in Trümmer gelegt worden, Menschen in Trauer oder auf der Flucht.

Auch nach dem Ende der Kämpfe war nach Angaben von Menschen vor Ort die Wasser- und Stromversorgung abgeschnitten. Das Krankenhaus der Stadt musste nach Angaben der lokalen Gesundheitsbehörde wegen Schäden geschlossen werden. Auch Bäckereien und Märkte blieben zunächst zu. 

Netanjahu: Keine syrischen Streitkräfte südlich von Damaskus

Israel wollte mit seinem Eingreifen eigenen Angaben zufolge die Drusen schützen. Die Drusen sind eine religiöse Minderheit, die aus dem schiitischen Islam entstanden ist. Sie leben in Israel, Jordanien, dem Libanon und Syrien. 

In Israel leisten die Drusen anders als die meisten muslimischen und christlichen Araber Militärdienst und spielen dort eine bedeutende Rolle in der Armee. In ihrer syrischen Hochburg Suwaida genossen sie während des Bürgerkriegs teils weitgehende Autonomie. Der von sunnitischen Islamisten geführten neuen Zentralregierung in Damaskus stehen viele Drusen skeptisch gegenüber.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu begründete das Vorgehen auch damit, dass er keine syrischen Regierungstruppen südlich der Hauptstadt Damaskus zulassen wolle. «Wir werden syrischen Streitkräften nicht erlauben, in die Region südlich von Damaskus einzudringen», sagte Netanjahu in einer Videoansprache.

Aufgrund des Eingreifens des israelischen Militärs in Syrien sei eine Waffenruhe in Kraft getreten und die syrischen Streitkräfte hätten sich nach Damaskus zurückgezogen, sagte Netanjahu weiter. Die Feuerpause sei «mit Stärke erreicht worden. Nicht durch Bitten, nicht durch Appelle – mit Stärke», betonte er.

Direkter Konflikt mit Israel abgewendet

Al-Scharaa betonte, die Drusen stünden unter dem Schutz des Staates und Verbrechen gegen die Minderheit würden ausnahmslos verfolgt. Gleichzeitig machte er drusische Anführer teilweise für die Auseinandersetzungen verantwortlich. 

Ein direkter Konflikt mit Israel sei dank der Vermittlung durch die USA, die Türkei und arabische Staaten abgewendet worden, sagte al-Scharaa. Die Sicherheit in Suwaida sei nun in die Hände von lokalen Kräften gelegt worden, so der Übergangspräsident weiter. 

Wie die Beobachtungsstelle für Menschenrechte bestätigte, die über ein Netz an Informanten im Land verfügt, begannen die Regierungstruppen mit dem Rückzug aus Suwaida. Drusische Milizen sollen in der gleichnamigen Provinzhauptstadt Stellungen bezogen haben.

Al-Scharaa zufolge waren die Truppen damit beauftragt worden, die Kämpfe in der Provinz zu beenden, die von «gesetzlosen Gruppen» entfacht worden seien, die es auf Chaos und Abspaltung abgesehen hätten. Diese «Banden» seien für Verbrechen gegenüber Zivilisten verantwortlich, sagte der Politiker.

Wadephul: Stabilität des Landes nicht gefährden

Außenminister Johann Wadephul rief die Konfliktparteien auf, sich an eine Waffenruhe zu halten und die Stabilität des Landes nicht zu gefährden. Dass die Waffen auch nach Vermittlung durch die US-Partner nun schweigen würden, sei eine gute Nachricht, erklärte der CDU-Politiker in einer Mitteilung des Auswärtigen Amtes. «Von entscheidender Bedeutung ist jetzt, dass sich alle Parteien an die Abmachung halten und die Kampfhandlungen einstellen.»

Wadephul verurteilte die Übergriffe auf Angehörige der drusischen Minderheit aufs Schärfste. Die dafür Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Die syrische Regierung sei in der Pflicht, ihre Staatsbürger unabhängig von Konfession oder Ethnie vor Gewalt zu schützen. Zudem müsse die Regierung in Damaskus einen inklusiven politischen Prozess beginnen, in dem alle Bürgerinnen und Bürger Syriens repräsentiert seien.

Mit Blick auf die israelischen Luftangriffe auch in der Hauptstadt Damaskus verlangte Wadephul, Syrien dürfe nicht zum Spielfeld regionaler Spannungen werden. Er rief «alle inländischen und ausländischen Akteure auf, nichts zu unternehmen, was die Stabilität Syriens und den Transitionsprozess gefährden könnte».

© dpa-infocom, dpa:250717-930-806789/3

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