Was darf's sein? Mocktail, Tocktail oder Cocktail

Ein Cocktail steht auf dem Tresen einer Bar in Berlin
© Florian Schuh/dpa-tmn

Den Sommer leicht genießen

Hamburg/Hausham (dpa/tmn) - «Bitte einen Cocktail mit wenig Alkohol!» Oder vielleicht ganz ohne? Bitten, die vor wenigen Jahren noch abschätzige Blicke an der Bar ernteten, sind heute die Regel. Alkoholfreie oder alkoholarme Drinks werden immer beliebter. «Es geht nicht mehr um den Rausch, sondern um den Genuss», sagt Barmanager Rocco Tolomeo vom Hotel The Fontenay in Hamburg. Seit der Pandemie werde mehr mit Vernunft konsumiert. 

Low-ABV-Drinks und Mocktails

Nicht nur an der Bar, sondern auch zu Hause ist immer öfter weniger mehr oder gar nichts genau richtig. Eine Neuerfindung sind diese Getränke jedoch nicht. Viele Klassiker wie ein Garibaldi aus Campari und O-Saft sind Low-ABV-Drinks. So nennen Experten Getränke mit wenig Alkohol (Low Alcohol by Volume). 

«Mocktails sind schon länger als alkoholfreie Varianten von gängigen Cocktails bekannt wie Virgin Colada statt Pina Colada oder Ipanema, der alkoholfreie Caipirinha», sagt Thomas Weinberger von der Destillerie Lantenhammer im bayerischen Hausham. Mocktail ist eine Wortschöpfung aus «to mock» (nachahmen) und Cocktail.

Alkohol spielt nicht die Hauptrolle

Alkohol ist längst nicht mehr die Voraussetzung für hochwertigen Trinkgenuss. «Es ist ein Mythos, dass Promille nötig sind, um Spaß zu haben. Die Qualität der Drinks sowie die Atmosphäre spielen eine viel größere Rolle. Ein liebevoll zubereiteter Mocktail, der geschmacklich und optisch überzeugt, kann genauso begeistern wie ein Cocktail mit Alkohol», schreibt Linh Nguyen in ihrem Buch «Like a Virgin. Die Mocktail Bibel».

Die Erwartung an einen alkoholfreien Drink liegt inzwischen weit jenseits von Fruchtsaftgemisch und süßem Sirup. Alkohol einfach wegzulassen und Säfte mit Sirup zu vermischen, ist für erfahrene Profis hinter der Bar nicht mehr zeitgemäß. Auch Destillerien haben sich mit ihren Spirituosen angepasst und alkoholfreie Varianten auf den Markt gebracht.

Barexperte und Buchautor Stephan Hinz aus Köln beobachtet, dass Drinks mit reduziertem Alkohol seit einigen Jahren deutlich das Segment in der Bar sind, das am meisten wächst. 

Große Nachfrage: extra Barkarten und Cocktail-Wettbewerbe

Etliche Bars bieten sogar extra Karten für leichte und alkoholfreie Drinks an. Und: «Inzwischen gibt es eigene Wettbewerbe für alkoholfreie und leichte alkoholische Drinks», erklärt Thomas Weinberger, Bartender und Jurymitglied von Cocktail-Wettbewerben. Sein Unternehmen kreiert deshalb auch neue Spezialitäten jenseits der Promillegrenze wie den alkoholfreien Kräuteraperitif Chilla mit Aromen von Zitrone und Wacholder.

Leichte alkoholische Drinks ermöglichen dem zweifachen deutschen Cocktail-Vizemeister Sebastian Jäger aus Saarbrücken, «da auf Alkohol zurückzugreifen, wo es dem Geschmackserlebnis dient, und bei den Zutaten, bei denen es Alternativen gibt, darauf zu verzichten.» Die Möglichkeiten beim Mixen würden vielfältiger. «Und der Kater bleibt dennoch aus», so der Experte.

Meist geshakt, gerührt und im Glas gebaut

Für Rocco Tolomeo ändert sich am Handwerklichen nichts. Egal, ob alkoholisch, nicht-alkoholisch oder wenig alkoholisch, es wird geshakt, gerührt und «im Glas gebaut». Beim Shaken werden die Zutaten mit Eiswürfeln in einen Shaker gegeben, geschüttelt und meist durch ein Barsieb ohne Eis in ein vorgekühltes Glas abgeseiht, erklärt Jäger. 

Beim Rühren werden die Zutaten in einem «Mixing Glas» mit Eiswürfel gerührt und dann abgeseiht. «Da die meisten Drinks mit reduziertem Alkoholgehalt Filler enthalten, also etwa Tonic, Soda oder Crémant, werden sie überwiegend "gebaut", das heißt, direkt im Gästeglas zubereitet», erklärt Hinz. Neben dem Spritz spielen auch klassische Getränkekategorien wie Collins, Fizz, Mule oder Highball eine immer größere Rolle.

Ein klassischer Highball ist etwa ein Gin Tonic. «Heute könnte man stattdessen einen Ricordino Tonic zubereiten und so den Alkoholgehalt glatt halbieren», empfiehlt Hinz. In seinen Kölner Bars Little Link, Grace & Grape und Punky Panda können Cocktails mit niedrigerem Alkoholgehalt auch komplexer ausfallen. Für den «Strüssje Cocktail» gibt Hinz' Team zum fruchtig-floralen Aperitif Kalyx Maraschino, Veilchen, Grapefruit und Limette dazu und shakt den Drink mit Eiweiß. Die Schaumkrone wird zum Schluss mit Blütenstaub garniert.

Rezepturen fordern Erfindungsreichtum

Rocco Tolomeo sieht als entscheidenden Unterschied, dass die Drinks mit anderen Grundprodukten zubereitet werden. Für Mocktails gilt etwa: «Man muss sich mehr Gedanken machen, wenn der Alkohol als Geschmacksträger ausfällt. Dafür setzen wir verstärkt Kräuter, Gewürze, Früchte und Gemüse ein», sagt der Hamburger Barmanager. Dadurch wird der Cocktail geschmacklich intensiver und komplexer. Das gilt auch für Varianten mit weniger Alkoholgehalt.

Leichte Drinks, die meist auf Likör basieren, haben einen erhöhten Zuckergehalt. Dies muss ausbalanciert werden. Als Konterpart empfiehlt Tolomeo: «Zitrone und Limette bringen Säure, Orange fruchtige Frische, Cranberry- und Rhabarber-Nektar eine süß-herbe Note und Maracuja eine schöne exotische Frische.»

Tipps für die Hausbar

Wer zu Hause mixen will, dem rät er: «Als Basis hat man den Likör, dann braucht man eine Säurequelle, außerdem eine Bitterquelle wie etwa Angostura Bitter oder Coffee Bitter und eine Wasserquelle wie Tonic Water, Ginger Ale, Ginger Beer, Prosecco oder Sekt.» Je nach Ausrichtung des Drinks eignet sich auch ein Kräuterbitter. Für den Experten sollten Drinks auf Likörbasis nicht aus zu vielen Zutaten bestehen, «weil sie sonst gegenseitig verlieren».

Für einen Hibiscus Sour, einen Twist des populären Pisco Sour, gibt er für die leichte alkoholische Variante Hibiskus-Likör, Zitronensaft und Eiweiß in einen Shaker und schüttelt alles kräftig auf Eis. Anschließend füllt er den Sour in einen Tumbler oder eine Cocktailschale und garniert mit einer Hibiskusblüte. Alkoholfrei wird es mit Hibiscus-Sirup.

Schnell zubereitet und erfrischend ist ein Limoncello Spritz. Der italienische Zitronenlikör wird in einem mit Eiswürfeln gefüllten Weinglas mit Sekt oder Prosecco aufgefüllt. Wer will gibt noch Mineralwasser, Holunderblütensirup und Zitrone zum Ausbalancieren des Zuckers dazu. Zitronenzesten, Minze oder Rosmarin als Deko sind Attribute der sommerlichen Frische.

Extravagante Tocktails

Linh Nguyen ist zwar eine begeisterte Anhängerin von allen Spritz-Variationen, aber besonders liebt sie Mocktails auf der Basis von Tee. Mit etwas Alkohol werden Tocktails daraus. «Tee hat immer etwas Erfrischendes und Anregendes», erklärt die Autorin. Sie mischt etwa grünen Tee oder Jasmintee mit Aloe Vera-Sirup und Eiswürfeln. Mit etwas Marillenlikör bekommt der Drink eine leichte Umdrehung und eine Fruchtkomponente.

Die Marburger Barexpertin rührt pürierte Erdbeeren in schwarzen Tee, würzt mit einer Prise Salz und Zucker, gibt Rum dazu und serviert das Ganze mit Limette oder Minze. Wer will, kann den Rum weglassen oder durch eine alkoholfreie Version ersetzen. Ausgefallen wird es, wenn zerstoßene Orangen- und Limettenstückchen, ähnlich wie bei Caipirinha, auf Pfefferminztee, weißen Schokosirup und zerstoßenes Eis treffen. Diesen Mocktail toppt Linh Nguyen mit Schokoraspeln.

© dpa-infocom, dpa:250623-930-708386/1
Leichter Sommerspritz der Destillerie Lantenhammer
Ein leichter Sommerspritz mit ganzen Früchten soll erfrischen und nicht umhauen. © Lantenhammer Destillerie/dpa-tmn
Ein leichter Sommerspritz mit ganzen Früchten soll erfrischen und nicht umhauen.
© Lantenhammer Destillerie/dpa-tmn
Sommercocktails der Destillerie Lantenhammer
Die Sommer-Cocktails der Destillerie Lantenhammer «Willi Royal» (oben), «Himbeer Spritz» (rechts), «Wilde Heidi» (unten) und «Gipfel Spritz» (links) werden aus Fruchtbrandliqueuren, etwas Saft, Schaumwein oder Tonic Water gemixt.© Lantenhammer Destillerie/dpa-tmn
Die Sommer-Cocktails der Destillerie Lantenhammer «Willi Royal» (oben), «Himbeer Spritz» (rechts), «Wilde Heidi» (unten) und «Gipfel Spritz» (links) werden aus Fruchtbrandliqueuren, etwas Saft, Schaumwein oder Tonic Water gemixt.
© Lantenhammer Destillerie/dpa-tmn
Cocktail «Ricordino Tonic»
Mit einem «Ricordino Tonic» auf Basis eines Kräuterlikörs lässt sich der Alkoholgehalt gegenüber einem klassischen Gin Tonic nahezu halbieren. © Cocktailkunst GmbH/dpa-tmn
Mit einem «Ricordino Tonic» auf Basis eines Kräuterlikörs lässt sich der Alkoholgehalt gegenüber einem klassischen Gin Tonic nahezu halbieren.
© Cocktailkunst GmbH/dpa-tmn
Stephan Hinz
Stephan Hinz ist ein Kölner Barexperte und Buchautor. Er hat beobachtet, dass Drinks mit reduziertem Alkohol das Segment in der Bar ist, das am meisten wächst. © Cocktailkunst GmbH/dpa-tmn
Stephan Hinz ist ein Kölner Barexperte und Buchautor. Er hat beobachtet, dass Drinks mit reduziertem Alkohol das Segment in der Bar ist, das am meisten wächst.
© Cocktailkunst GmbH/dpa-tmn
Tocktail «Adam & Eva» von Linh Nguyen
Der Tocktail «Adam & Eva» besteht aus 10 cl grünem Jasmintee, 2 cl Apfelsirup, 2 cl Verjus und wird mit Mandarinenschaum serviert.© Daniel Esswein/dpa-tmn
Der Tocktail «Adam & Eva» besteht aus 10 cl grünem Jasmintee, 2 cl Apfelsirup, 2 cl Verjus und wird mit Mandarinenschaum serviert.
© Daniel Esswein/dpa-tmn
Tocktail «Redlips Spritz» von Linh Nguyen
Der Tocktail «Redlips Spritz» besteht aus 10 cl Hibiskustee, 1 cl Amarenasirup, 1 cl Holundersirup, 1 cl Zitronensaft sowie alkoholfreiem Rosé-Sekt oder Vino Frizzante zum Auffüllen.© Daniel Esswein/dpa-tmn
Der Tocktail «Redlips Spritz» besteht aus 10 cl Hibiskustee, 1 cl Amarenasirup, 1 cl Holundersirup, 1 cl Zitronensaft sowie alkoholfreiem Rosé-Sekt oder Vino Frizzante zum Auffüllen.
© Daniel Esswein/dpa-tmn
Linh Nguyen
Die Marburger Barexpertin Linh Nguyen liebt sowohl Spritz-Variationen als auch Mocktails auf der Basis von Tee.© Daniel Esswein/dpa-tmn
Die Marburger Barexpertin Linh Nguyen liebt sowohl Spritz-Variationen als auch Mocktails auf der Basis von Tee.
© Daniel Esswein/dpa-tmn
Buchcover «Cocktailkunst. Die Zukunft der Bar»
Stephan Hinz, «Cocktailkunst. Die Zukunft der Bar», Matthaes (Hrsg.), DK Verlag, 360 Seiten, 49,90 Euro, ISBN 978-3-98541-058-3.© Matthaes/DK Verlag/dpa-tmn
Stephan Hinz, «Cocktailkunst. Die Zukunft der Bar», Matthaes (Hrsg.), DK Verlag, 360 Seiten, 49,90 Euro, ISBN 978-3-98541-058-3.
© Matthaes/DK Verlag/dpa-tmn
Buchcover «Like a Virgin. Die Mocktail Bibel»
Linh Nguyen, «Like a Virgin. Die Mocktail Bibel», Callwey, München 2025, 240 Seiten, 45 Euro, ISBN: 978-3-7667-2787-9.© Callwey/dpa-tmn
Linh Nguyen, «Like a Virgin. Die Mocktail Bibel», Callwey, München 2025, 240 Seiten, 45 Euro, ISBN: 978-3-7667-2787-9.
© Callwey/dpa-tmn

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