Wieder Krise in Paris: Diese Folgen hat der Regierungssturz
Veröffentlicht: Montag, 08.09.2025 19:05

Verlorene Vertrauensfrage
Paris (dpa) - Niederlage ohnegleichen statt Befreiungsschlag: Frankreichs Mitte-Rechts-Regierung ist nach nur knapp neun Monaten am Ende. Herbeigeführt hat den Fall der Minderheitskoalition Premier François Bayrou unwillentlich selbst, indem er in der Nationalversammlung die Vertrauensfrage stellte. Erneut steuert Frankreich nun in unsicheres Fahrwasser. Doch was genau heißt der Regierungssturz für das angeschlagene Land und für Europa?
Muss Präsident Macron jetzt zurücktreten?
Nein. Um das Amt von Staatschef Emmanuel Macron ging es der Abstimmung im Unterhaus nicht. Dennoch ist das Scheitern der Regierung für ihn eine herbe Niederlage. Mit Bayrou stürzt innerhalb von gut einem Jahr schon der zweite Premierminister in Folge. Der Anfang September 2024 ernannte Michel Barnier war im Dezember von der Opposition zu Fall gebracht worden.
Macron, der als Präsident den Regierungschef ernennt, muss sich eine Mitschuld vorwerfen lassen. Zumal die komplizierte politische Gemengelage im Parlament, in der kein Lager eine eigene Mehrheit hat, auf die von ihm 2024 herbeigeführte Parlamentsneuwahl zurückgeht.
Sowohl auf der Straße als auch im Parlament dürfte der Druck auf Macron steigen. Schon am Mittwoch will ein Bündnis, von dem unklar ist, wer es anführt, das Land blockieren. In der kommenden Woche droht ein riesiger branchenübergreifender Streik. Marine Le Pens Rechtsnationale und Frankreichs linkes Lager dürften den Fall ebenfalls nutzen, um gegen Macron Stimmung zu machen.
Wie geht es jetzt in Frankreich weiter?
Nach dem Sturz muss Premier Bayrou den Rücktritt seiner Regierung bei Macron einreichen. Erwartet wird, dass der Staatschef das Kabinett geschäftsführend im Amt lässt, bis eine Nachfolge gefunden ist. Möglicherweise wird Macron versuchen, sehr schnell nach Bayrous Rücktritts einen neuen Regierungschef zu ernennen, um aus der Schusslinie zu kommen und politischen Stillstand zu vermeiden.
Da sich Macrons Mitte-Block, das linke Lager und Le Pens Rechtsnationale als drei große Kräfte ohne eigene Mehrheit im Unterhaus gegenüberstehen, dürfte die Suche nach einem neuen Premier allerdings erneut ein schwieriger Balanceakt werden.
Theoretisch könnte Macron auch erneut die Nationalversammlung auflösen und Neuwahlen ausrufen. Allerdings hatte er mehrfach klargestellt, nicht auf dieses Mittel zurückgreifen zu wollen. Sollten alle Stricke bei der Suche nach einem Premier aber reißen, ist dennoch denkbar, dass die Französinnen und Franzosen zurück an die Wahlurne geschickt werden.
Was heißt der Regierungssturz für Frankreichs Finanzen?
Mit dem von Bayrou vorgelegten Entwurf eines Sparhaushaltes sollte eigentlich ein Kurswechsel eingeleitet werden bei Frankreichs galoppierender Staatsverschuldung. Zuletzt war der öffentliche Schuldenstand auf rund 114 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angestiegen. Damit ist Frankreich nach Griechenland und Italien das Land im Euroraum mit der höchsten Schuldenquote.
Nun droht eine Verzögerung und Abschwächung der Sparbemühungen, was negative Auswirkungen auf die Zinslast neuer Staatsanleihen sowie auf die französische Wirtschaft haben dürfte. Alleine die Tilgungszahlungen für die Schulden drohten zum größten Haushaltsposten zu werden, noch vor den Ausgaben für Bildung oder Verteidigung, hatte der Premier gewarnt.
Welche Auswirkungen hat das auf Europas Finanzen?
In Brüssel sorgt weniger die Regierungskrise als die Haushaltslage für Sorgen. Die Europäische Kommission hatte bereits im vergangenen Jahr ein Strafverfahren wegen zu hoher Neuverschuldung eingeleitet und befürchtet nun, dass sich die Situation angesichts der politischen Lage weiter zuspitzen könnte. Folge könnte dann ein erneuter Vertrauensverlust in die Eurozone sein - auch wenn diese mittlerweile als deutlich krisenfester gilt als noch in Zeiten der Griechenland-Finanzkrise.
Beeinflusst der Fall der Regierung das Verhältnis zu Berlin?
Der jetzt bevorstehende Regierungswechsel wird zunächst einmal nichts daran ändern, dass beide Länder nach den schwierigen Jahren unter Kanzler Olaf Scholz wieder enger zusammenzurücken. Unmittelbare Auswirkungen der innenpolitischen Krise auf die Zusammenarbeit werden in Berlin nicht erwartet. «Der französische Staat wird weiter handeln und wird auch weiter funktionieren», sagte Regierungssprecher Stefan Kornelius wenige Stunden vor der Vertrauensabstimmung. «Ich denke, dass die Handlungsfähigkeit zwischen beiden Ländern weiter gegeben ist und der Austausch eng bleibt.»
Was heißt das für die Unterstützung der Ukraine?
Frankreich unterstützt die Ukraine mit militärischen Mitteln, finanziell und durch Ausbildungsprogramme für Soldaten. Das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) gibt in seinem Ukraine Support Tracker an, dass Frankreich seit 2022 bis Ende Juni 2025 militärische, finanzielle und humanitäre Regierungshilfen in Höhe von rund 7,6 Milliarden Euro zuwies - knapp 0,3 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts. Hinzu kommt demnach ein Anteil an EU-Beihilfen von rund 12,1 Milliarden Euro. Frankreich hat seinen im Vergleich mit anderen EU-Ländern und auch Deutschland geringeren Beitrag auch damit verteidigt, dass es für die Verteidigung der Ukraine strategisch wichtige Waffen liefert.
Die politische Lähmung infolge eines Regierungssturzes könnte Haushaltspläne verzögern. Innenpolitische Debatten und Neupositionierungen könnten Außenpolitik und damit das Thema Ukraine-Hilfen in den Hintergrund drängen. Auf große Sprünge der Franzosen können die westlichen Partner und die Ukraine dann nicht mehr hoffen.
Durch die weitere Schwächung Macrons wird noch mehr Verantwortung auf Bundeskanzler Friedrich Merz in Europa lasten. Da die USA sich immer weiter aus der Ukraine-Unterstützung zurückziehen, gilt Deutschland inzwischen als wichtigster Partner des von Russland angegriffenen Landes, was Waffenlieferungen und finanzielle Unterstützung angeht.
